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- Poetisches Vorspiel
Es kommt wohl nicht allzu häufig vor, dass ein/e Sprachwissenschaftler/in oder ein/e Sprachhistoriker/in zur Feder oder in die Tastatur greift, um sein/ihr Missbehagen oder seine/ihre Verstörung poetisch, d. h. in gereimten Versen kund zu tun. Jüngst fand ein kritisches Gedicht zu einem sprachwissenschaftlichen Problem aus der Feder des Leipziger Kollegen Hans Ulrich Schmid durch die Entscheidung der Duden-Redaktion, das sog. generische Maskulinum wegzudefinieren, den Anlass seines Entstehens. Schmids Poem reiht sich in zahlreiche gereimte Klagen in Versform über den Zustand der Sprache oder eines sprachlichen Bereichs, der Haupttitel nimmt – heute würde man sagen: intertextuell – Bezug auf barocke Klagegedichte. Doch jetzt endlich soll der Dichter das Wort haben:
Thraenen der Muttersprache
oder:
Im Grünen zu DUDE(l)N
„Man schreib’, weil es gerecht und flo.. is,
Stets nur mit Stern! Und sprech’ mit Glo..s!
Wer’s unterlässt oder vergisst,
Gelte fortan als Chauvinist.
(Auch wenn er gar kein solcher ist)“
So sprach’s herab vom hohen Ross
Der deutschen Sprache strenger Boss,
Der DUDEN im Gefühl der Macht
Halb Deutschland hat sich krumm gelacht.
Und ..ppt sich fragend an die S..rn:
„Was ham die DUDler denn im Hirn?
Kann’s sein, dass sie’s nicht besser wüssten?
Nein! Tun sie nicht. Sie sind – – Linguisten!
Die sonst mit ihrer Weisheit prahlen
Und über Wörter Bäumchen malen.
Wer denken kann, der schreibt doch nie
Im Wort ein eRiGiErTeS „I“!
Denkt s..ll: Ach, DUDEN, hab mich gern,
Samt Doppelpunkt und Strich und *
Der Konrad Duden, wüsst’ er drum,
Er drehte sich im Grab herum.
Er war, wie jede*_:/(r) wissen kann,
Ein böser, alter, weißer Mann.
Der Dichter nimmt nicht direkt Bezug darauf, dass der Online-Duden das generische Maskulinum nicht mehr anerkennt, sondern vielmehr die grafischen Kennzeichen des sog. geschlechtergerechten Schreibens parodiert. Im Gedicht begegnen wir der Binnenmajuskel I (StudentIn) sowie den neueren Versuchen, neben der Geschlechtergerechtigkeit auch Gendergerechtigkeit durch ein Gendergap grafisch wiederzugeben: Student*in, Student_in, Student:in. Während die Binnenmajuskel kaum auszusprechen ist, soll dem Willen der Erfinder/innen nach ein Glottisschlag als spezielle Realisierung einer Junktur die Spalte hörbar machen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung (RDR, https://www.rechtschreibrat.com) hingegen konnte sich bislang (Ende Juni 2021) nicht dazu durchringen, eine solche Schreibung zuzulassen.
Das Binnen-I gibt dem Autor die Gelegenheit, mit Majuskeln als semantischem Mittel spielerisch umzugehen: Die Abfolge von Minuskel und Majuskel im attributiven Partizip steht auch in komischem Kontrast zur Majuskel I, bei der im gegebenen Kontext die Möglichkeit, auch eine Minuskel zu setzen, aus semantischen Gründen nicht vorhanden ist. Wenn schon Minuskeln in einem Wort, das der erotischen Allusion dienen soll, vorkommen, dann wird das Spiel mit der Erotik der Majuskel zur Farce.
Das Spiel mit graphischen Zeichen wird fortgesetzt: Die Buchstabenfolge ti wird durch zwei Pünktchen als Variable angedeutet, wodurch die Zeichen im Gendergap parodiert werden sollen.
„Hauptübeltäter“ ist der DUDEN, und zwar zunächst die Institution und nicht eine Einzelperson. DUDEN wird, dem Verlagsusus entsprechend, immer in Versalien geschrieben. Doch schon in der Überschrift wird deutlich, dass der Name die Grundlage für eine Verspottung der Institution ist. Dem substantivischen Eigennamen wird als vorletzter Buchstabe ein l eingefügt, klein geschrieben, da dieses l ja kein Bestandteils des Verlagszeichens ist; dadurch wird aus dem Substantiv ein Verb, das keinerlei Namensfunktion mehr hat. Das Verbum dudeln hat die Bedeutung: monoton klänge hervorbringen. zunächst nur von blasinstrumenten, besonders von flöte, dudelsack und orgelpfeife; daneben seit dem 19. jh. auch vom eintönigen gesang; im 20. jh. auch von radio, grammophon u. ä. bis anfang 20. jh. wertfrei, daneben seit dem ende des 18. jhs. umgangssprachlich abwertend von kunstlos vorgetragener oder unbeachtet abspielender musik (URL 1).
Vereinfachend könnte man sagen: dudeln bezeichnet negativ wertend monotone Äußerungen, die zunächst irgendwie musikalisch sind, in metaphorischen Gebrauch aber auf Sprachliches angewendet werden können. Schmids Wortspiel ist also eine Verunglimpfung der Duden'schen Bedeutungserklärungen.
Die letzte ‚Strophe‘ schreibt Duden nicht mehr in Versalien, sondern nur noch mit initialer Majuskel, weil die Person und nicht die Institution genannt werden soll. Deshalb wird zum Familiennamen auch der Vorname gesetzt. Der Autor des Gedichts nimmt an, dass der historische Konrad Duden (1829 – 1911) mit den verschiedenen Formen des Genderns nicht einverstanden wäre, was die postmortale Reaktion erklärbar macht. Dennoch distanziert sich Hans-Ulrich Schmid satirisch von der historischen Person, indem er die postmortale Reaktion darauf zurückführt, dass Konrad Duden ein „böser, alter, weißer Mann“ war.
Das ursprüngliche Syntagma alter weißer Mann hat sich zu einem Maledictum, zu einem Scheltwort entwickelt und zu einem negativ wertenden Phraseologismus verfestigt. Durch die Me-Too-Bewegung (https://de.wikipedia.org/wiki/MeToo) und die Berichterstattung darüber ist er aus den USA nach Europa gelangt, wo er in seiner wörtlichen Lesart (alter und weißer und Mann) kaum brauchbar ist. Daher ist diese Wortgruppe weitgehend idiomatisiert. „Um ein ‚weißer alter Mann‘ zu sein, muss man nicht zwangsläufig weiß, alt und männlich sein“ [Steiner 2019]. So gesehen bezeichnet der Phraseologismus eine Person, die gegen politische Korrektheit ist, die sich gerne rassistisch, sexistisch, antifeministisch oder auch transphob äußert. Wenn sich jemand gegen „gendergerechten“ Sprachgebrauch äußert, verhält er/sie sich antifeministisch und ist somit ein „alter weißer Mann“.
- Maskulina in Duden 2021
Das Problem allerdings ist, dass das kritisierte Duden-Online-Wörterbuch nicht, wie im Gedicht angedeutet, ‚gendergerechten‘ Sprachgebrauch vollzieht, sondern bei den Bedeutungsangaben substantivischer Personenbezeichnungen maskuline Formen als Bezeichnungen männlichen Geschlechts interpretiert; einige Beispiele (Duden 2021): Arzt: männliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung); Mieter: männliche Person, die etwas gemietet hat; Bäcker: Handwerker, der Backwaren für den Verkauf herstellt (Berufsbezeichnung); Handwerker: männliche Person, die berufsmäßig ein Handwerk ausübt; Friseur: männliche Person, die berufsmäßig anderen das Haar schneidet [und frisiert].
In der 8. und der 9. Auflage des Duden-Universalwörterbüchs sehen die Bedeutungserklärungen noch etwas anders aus (Duden 2019; Duden 2015a): Arzt: jemand, der nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung); Mieter: jemand, der etwas gemietet hat; Bäcker: Handwerker, der Backwaren für den Verkauf herstellt (Berufsbezeichnung); Handwerker: jemand, der berufsmäßig ein Handwerk ausübt; Friseur: jemand, der berufsmäßig anderen das Haar schneidet [und frisiert].
Trotz gravierender Änderungen im Online-Wörterbuch von 2021 fällt in den Duden-Bänden sofort die Tradition in der Formulierung der Bedeutungserklärungen auf, dies besonders deutlich beim Friseur, dessen Haupttätigkeit das Haareschneiden zu sein scheint; das Frisieren war wohl nur gelegentlich Teil seiner Aufgabe. Auf die Rolle der Wortbildung im Online-Duden 2021 werden wir später noch ausführlicher zu sprechen haben. Doch schon bei diesem Beispiel fällt auf, dass im Online-Duden Wortbildungsregularitäten kaum zur Rekonstruktion des Wortbildungsinhaltsmusters mithilfe der Paraphrasetechnik herangezogen werden. Ich würde das Substantiv, das Nomen Agentis Friseur zunächst einmal mit ‚jemand, der jemanden frisiert‘ paraphrasieren. Das Verbum frisieren hat für die Duden-Redaktion folgende Bedeutung (Duden 2021): frisieren: jemandem, sich das Haar in bestimmter Weise ordnen, kämmen, zu einer Frisur formen. Nach dieser Bedeutungserklärung gehört das Schneiden nicht zum Frisieren, doch das Schneiden ist die Haupttätigkeit des Friseurs.
An dieser Stelle sei eine kurze metalexikographische Kritik angebracht: Das Wörterbuch scheint auf Beziehungen zwischen Wörtern, die innerhalb des Wörterbuchs interpretiert werden, keine Rücksicht zu nehmen. Der/Die Autor/in des Artikels frisieren kümmert sich nicht um das, was er/sie oder eine andere Person s. v. Friseur geschrieben hat. Eine Redaktion findet anscheinend ebenfalls nicht statt.
Das Wahrig-Wörterbuch (Wahrig 2012) verweist zunächst vom Lemma Friseur auf die eingedeutschte Form Frisör. Dort können wir dann lesen: Frisör: <…> Handwerker, der anderen das Haar pflegt, färbt, schneidet u. in Form bringt. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia schreibt: Ein Friseur <…> ist eine Fachkraft für die Pflege des Kopfhaares und die Gestaltung der Frisur (URL 2). Wahrig und Wikipedia beschreiben also die Tätigkeit eines Friseurs detaillierter und somit zutreffender, als es in der Duden-Tradition liegt. Dieser Befund aber ist nicht unser Problem. Der Unterschied zwischen dem Online-Duden und den früheren Duden-Auflagen sowie Wahrig und Wikipedia liegt darin, dass die Bedeutungsparaphrase des Online-Duden das maskuline Substantiv deutlich und eindeutig als männlich interpretiert.
Und das ist eine fundamentale und gravierende Änderung gegenüber dem bisherigen Usus der Duden-Redaktion und gegenüber anderen Wörterbüchern. Diese Änderung hat eine heftige und teilweise hochemotionale Diskussion in den öffentlichen Medien hervorgerufen. An die Spitze der Gegner positionierte sich der Verein für Deutsche Sprache (https://vds-ev.de), der sich gerne und oft, meist ohne Zimperlichkeit, als pegidahafter „Kampfverband“ [Lobin 2021, S. 67; 70] geriert. Dazu kamen auch Sprachwissenschaftler/innen, vor allem Grammatiker wie Gisela Zifonun und Peter Eisenberg, die auch schon vor dem Erscheinen des Online-Duden zu Fragen des ‚gendergerechten‘ Sprachgebrauchs Stellung genommen hatten.
Den Befürwortern/innen schienen und scheinen die Änderungen des Online-Dudens nicht so gravierend zu sein. Unter der Überschrift „Die Bösewichtin“ und im Artikel unter der Zwischenüberschrift „Ein Arzt ist jetzt ein Mann. Mehr ist nicht passiert“ [Stremmel 2021]: Die Redaktion hatte <…> im vergangenen Sommer damit begonnen, insgesamt 12000 Einträgen eigene Beschreibungen zu geben. Unter „Ärztin, die“ steht jetzt: „weibliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln“. Bei „Mieterin“ steht: „weibliche Person, die etwas gemietet hat“. Umgekehrt gilt, dass der Arzt oder der Mieter jetzt laut Duden eine „männliche Person“ ist. Mehr ist nicht passiert [Stremmel 2021].
Für den Journalisten Jan Stremmel sind die Änderungen nur Kleinigkeiten. Die öffentliche Aufregung darüber scheint ihm unverständlich zu sein, noch dazu, wo doch im Wörterbuch – endlich – Geschlechtergleichgewicht hergestellt zu sein scheint: Zunächst spricht er vom movierten Femininum (ohne es so zu nennen), und dem entspricht dann einfach das Maskulinum. Tatsächlich sind diese Änderungen aber, sowohl für die praktische Wörterbuchbenutzung als auch – und das ist im Augenblick das Wesentliche – für die Theorie von Wortbedeutung und Wortgebrauch geradezu gravierend.
Ein Artikel in der Hamburger Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ [Knuth 2021] zitiert die Leiterin der Duden-Redaktion Kathrin Kunkel-Razum: „Wir sind ein Wörterbuch. Wir unterscheiden zwischen der Bedeutung und der Verwendung von Wörtern“. Damit sagt Kunkel-Razum, dass die Bedeutung eines Lemmas von der Verwendungsfrequenz bestimmt werden muss. Dies aber ist ein großer und fundamentaler Irrtum. Denn die Unterscheidung zwischen Langue und Parole gilt auch für den Wortschatz, in Sonderheit für die Bedeutung von Appellativa bzw. von ‚Begriffszeichen‘, also von sprachlichen Zeichen, die auf einen ‚Begriff‘ referieren und nicht wie die Eigennamen bzw. ‚Namenzeichen‘ auf einen individuellen Gegenstand in der Außenwelt [Wolf 2002]. Begriffe sind mentale Konzepte, die durch Wörter benannt und dadurch kommunizierbar werden (‚Nomination‘). Begriffe werden dadurch gebildet, dass einzelne Merkmale mehrerer Objekte als klassenbildend verallgemeinert werden (‚Klasseme‘), während von mehreren anderen Merkmalen abstrahiert wird. Ein einfaches Beispiel: Für den Begriff ‚Frau‘ werden die Merkmale Mensch, erwachsen und weibliches Geschlecht verallgemeinert, während von individuellen Merkmalen wie Größe, Haarfarbe, Hautfarbe o. A. abgesehen wird. Dies ist sowohl für das Erkennen als auch für das Kommunizieren notwendig, damit die Wörter als Nominationseinheiten auf möglichst viele und vielfältige Situationen und Gegenstände anwendbar sind.
- Lexikalische und aktuelle Bedeutung
So gesehen, ist die Bedeutung von Begriffszeichen nicht präzise, nicht wohlbestimmt, darf das auch nicht sein, sondern stets vage, schlechtbestimmt. Die Bedeutungserklärungen in einem Wörterbuch müssen dem Rechnung tragen: Sie müssen zuallererst die ‚lexikalische Bedeutung‘ eines Wortes erklären und können danach auf die aktuellen Bedeutungen, wie sie der/die Lexikograph/in in seinem/ihrem Quellenkorpus gefunden hat, eingehen. Die lexikalische Bedeutung ist der „komplexe Inhalt des Wortes als Bestandteil des Systems der Sprache“ [Heusinger 2004, S. 185]; mit anderen Worten: „Die lexikalische Bedeutung ist das Gesamt an Bedeutungen, die ein Lexem hat“ [Heusinger 2004, S. 185]. Wie das System der Langue ein System von Möglichkeiten ist, ist auch die lexikalische Bedeutung eine „potentielle Bedeutung“ [Schippan 1992, S. 134]. Demgegenüber ist die aktuelle Bedeutung der Inhalt, „der mit einem im Kontext stehenden Wort verbunden ist“ [Wilhelm Schmidt, zit. Heusinger 2004, S. 185]. Ein Wort, in unserem Fall: ein Begriffszeichen aktualisiert bzw. präzisiert seine Bedeutung im jeweiligen Kontext; erst hier wird in Kooperation mit anderen Wörtern präzise ausgedrückt und erfahrbar, auf welche Gegenstände der Außenwelt referiert wird. „Im konkreten Redeakt werden Bedeutungen durch Ko- und Kontext [bzw. durch Kontext und Konsituation. – NRW] aktiviert und aktualisiert“ [Schippan 1992, S. 135].
Die Bedeutungserklärungen zum Substantiv Lehrer in zwei Wörterbüchern sollen das Gesagte illustrieren:
(1) Duden Online-Wörterbuch
- a) männliche Person, die an einer Schule unterrichtet (Berufsbezeichnung);
- b) männliche Person, die an einer Hochschule oder Universität lehrt;
- c) männliche Person, die aufgrund ihres Könnens Ausbilder (besonders in sportlichen Disziplinen) ist.
- männliche Person, die anderen ihr Wissen vermittelt, die durch ihr Wissen, ihre Persönlichkeit als Vorbild angesehen wird; Lehrmeister.
(2) Wahrig 2012
- jmd., der beruflich lehrt, unterrichtet, Inhaber eines Lehramtes, Pädagoge;
- jmd., der als Ausbilder tätig ist, z. B. im sportlichen Bereich;
- jmd., der als Vorbild für andere gilt, Lehrmeister.
Als gegenwartssprachlich motivierte Wortbildung hat das Substantiv Lehrer die (Wortbildungs-)Bedeutung ‚eine Person, die (berufsmäßig) lehrt‘. Wenn man dies berücksichtigt, dann könnte man die Bedeutungen eins und zwei in Wahrig 2012 zusammenfassen. Das Duden-Wörterbuch differenziert noch deutlicher, indem es verschiedene Schultypen – auch eine Universität ist eine Schule – als differenzierende Bedeutungsmerkmale nimmt. Auch hier könnte man leicht die angegebenen ‚Lesarten‘ minimieren, ohne dass ein Informationsverlust zu befürchten wäre. Debattieren könnte man die Bedeutung ‚Vorbild, Lehrmeister‘, da diese Bedeutung keinerlei Lehrtätigkeit voraussetzt. Vor allem zum Online-Duden kann man sagen, dass dieses Wörterbuch von Anfang an zu stark Bedeutungen differenziert, somit nur aktuelle Bedeutungen oder Kontextbedeutungen aufgeführt, während die lexikalische Bedeutung, die mit der Wortbildungsbedeutung weitgehend übereinstimmt, überhaupt nicht vorkommt.
In diesem Zusammenhang ist auch die Geschlechtsbestimmung des Online-Dudens zu sehen: als eine nicht nur überflüssige, sondern auch sachwidrige Festlegung, die sicherlich nicht Teil der lexikalischen Bedeutung von Lehrer ist. Dies haben auch zahlreiche Kritiker/innen so gesehen. Sie werfen der Duden-Redaktion vor, der „Duden entwerte das generische Maskulinum“ (so ein Zitat bei Stremmel [Stremmel 2021]); die Folge davon sei, dass „man von nun an beide Formen [Maskulinum und Femininum. – NRW] verwenden“ müsse.
Damit sind wir bei einem zentralen Problem der sog. ‚feministischen Sprachwissenschaft‘ angelangt. Von Anfang dieser sprachwissenschaftlichen Richtung an wird die Gültigkeit des generischen Maskulinums zumindest bezweifelt, wenn nicht in Abrede gestellt. Und so hat sich – das obige Zitat aus Stremmel 2021 belegt dies – der Begriff ‚generisches Maskulinum‘ zu einem Kampfbegriff entwickelt; das Für und das Wider werden gleichermaßen stets aufs Neue betont und begründet. Das beginnt schon bei der Bedeutungserklärung in Fremdwörter- oder auch allgemeinen Wörterbüchern.
Duden-Fremdwörterbuch (Duden 2015b, S. 388):
- a) das Geschlecht od. die Gattung betreffend;
- b) (Sprachwiss.) in allgemeingültigem Sinne gebraucht.
Fast wörtlich gleich sind die Bedeutungserklärungen von generisch in (Wahrig 2010). Scheinbar kleine Änderungen gibt es wieder im Online-Duden (Duden 2021):
- im allgemeingültigen Sinne [gebraucht] – Sprachwissenschaft;
- das Geschlecht oder die Gattung betreffend – Biologie.
Beide Bedeutungen werden je einem wissenschaftlichen Referenzbereich zugeordnet, eine gemeinsprachliche Verwendung dieses Adjektivs scheint es nicht mehr zu geben. Die Sprachwissenschaft steht nun an erster Stelle, darauf folgt die Biologie. Die biologische Verwendung wird nicht mit einem Beispiel belegt, die sprachwissenschaftliche sehr wohl: generisches Maskulinum (Verwendung der maskulinen Form für weibliche und männliche Personen).
Anordnung der zwei Bedeutungen und Wahl des einzigen Kontextbelegs sind manipulativ. Überraschend ist es auch, dass die Duden-Redaktion nur zwei Referenzbereiche gefunden hat, in denen das Adjektiv generisch verwendet wird. Ein kurzer Blick in die Internet-Enzyklopädie Wikipedia hätte noch eine Reihe weiterer Referenzbereiche zu Tage gefördert (URL 3):
- In „der Opernmusik der generische Terminus für Duette, Terzette, Quartette und anderen mehrstimmigen Gesang: Ensemble“;
- IT-Bereich:
Eine generische Domain (auch beschreibende oder sprechende Domain) ist eine Internet-Domain, deren Name aus einem Gattungsbegriff besteht, z. B. pizza.com oder Ähnliches. Im Gegensatz dazu stehen Domains, die aus Eigennamen oder Phantasienamen bestehen.
Generische Treiber sind Computerprogramme, die zum Betrieb vieler unterschiedlicher Geräte einer Klasse (z. B. für viele Festplatten) eingesetzt werden können.
In der objektorientierten Programmierung werden die Funktionen (genauer: Methoden) einer Objektklasse absichtlich zunächst möglichst allgemein entworfen, um für unterschiedliche Datentypen und Datenstrukturen verwendet werden zu können;
In der algebraischen Geometrie gibt es den Begriff des „generischen Punkts“.
Allgemein gibt es den Begriff „generisch“ in der Mathematik insbesondere im Zusammenhang mit Funktionenräumen.
Es verwundert aber, dass das große Duden-Korpus, zumindest zur Zeit der Bearbeitung des Online-Dudens, keine Belege für andere Referenzbereiche enthalten hat.
In der Sprachwissenschaft hat das Adjektiv „generisch“ die Aufgabe, anzugeben, dass eine Aussage sich nicht auf ein bestimmtes Objekt, auf einem bestimmten Gegenstand, auf einen bestimmten Sachverhalt bezieht, sondern auf eine Klasse von Objekten, Gegenständen, oder Sachverhalten. So gesehen kann es nicht nur generische Maskulina, sondern auch generische Feminina und generische Neutra sowie generische Pluralia geben, wie die folgenden Beispiele aus Wikipedia zeigen:
Der Wolf (Canis lupus) ist rezent das größte Raubtier aus der Familie der Hunde (Canidae). Wölfe leben meist in Familienverbänden, fachsprachlich Rudel genannt.
Über eine stärkere Durchblutung kann die Giraffe so mehr Körperwärme abgeben und ist nicht auf Schatten angewiesen. Vor allem bei männlichen Giraffen werden die Flecken mit zunehmendem Alter dunkler.
Das Hauspferd ist die domestizierte Form des Wildpferdes, das mit den Eseln und Zebras die Familie der Pferde (Einhufer, Equidae) innerhalb der Ordnung der Unpaarhufer (Perissodactyla) bildet.
Diese Beispiele, je eines für jedes Genus der deutschen Gegenwartssprache, sind generische Aussagen, also generelle Aussagen über Klassen von Gegenständen, in unserem Fall von Tieren. Durch diese Beispiele wird auch sichtbar, dass in solchen generischen Aussagen die oppositiven Funktionen der Artikelformen neutralisiert werden, ebenso die der Numeri: Gibt es keinen wirklichen Situationsbezug, geht es also nicht um individuelle Größen der Erfahrungswelt, sondern um „generelle“ Aussagen über eine gesamte Klasse besprochener Erscheinungen, so ist die Opposition „Determiniertheit – Indeterminiertheit“ aufgehoben. <…> Da es hier nicht auf gezählte „Individuen“ ankommt, ist zugleich der Gegensatz „Einzahl – Mehrzahl“ aufgehoben [Erben 1972, S. 227].
Generische Aussagen herzustellen ist keine Leistung des Genus, sondern, wie dieses Zitat aus J. Erben 1972 zeigt, der Teile des sprachlichen Kontexts, die Definitheit oder Indefinitheit signalisieren. Damit werden auch Wort und Begriff ‚Generisches Maskulinum‘ problematisch: Es ist eben nicht das Genus, das das Entscheidende ist. Wenn wir generische Aussagen über das Tierreich machen wollen, können wir hierfür Substantive mit allen drei Genera verwenden. Dass dies bei Aussagen über menschliche Nomina Agentis, Berufs- und Personenbezeichnungen so nicht möglich ist, liegt daran, dass die meisten derartigen Bezeichnungen maskulin sind. Das hat – diese Sottise sei hier eingefügt – nichts mit den Wirkungen des Jahrhunderte lang waltenden Patriarchats zu tun, sondern mit einem ganz anderen und viel älteren sprachgeschichtlichen Faktum.
- Sprachsystematisches
4.1. Genus commune
Das Indogermanische, insbesondere die sog. altindogermanischen Schulsprachen wie das Altgriechische und das Lateinische, kennen drei Genera. Doch „läßt der formale Aufbau einzelner Flexionsparadigmen auf ein vorhistorisches Zwei-Genus-System schließen“ [Tichy 1993, S.1]. Dieses äußert sich in Adjektiven „der dritten Deklination“, in sog. i-Stämmen: „omnis m. f., omne n., facilis, facile, fortis, forte“. Die Genus-Markierung „m. f.“ ist ein syntaktischer Hinweis: Sie zeigt an, mit welchen Substantiven das Adjektiv kongruieren kann; die Form omnis kann demnach mit maskulinen und femininen Substantiven kongruieren. Mit anderen Worten, Genusklassen sind zunächst „Kongruenzklassen“. Es spielt dabei keine Rolle, ob ein maskulines Substantiv ein männliches Lebewesen oder eben nur einen geschlechtslosen Gegenstand bezeichnet. „Da Genus durch die Kongruenz definiert wird, ohne dass der Auslöser derselben zwingend hinsichtlich dieses Merkmals markiert sein müsste, können Klassen nur aufgrund der Kongruenzmuster etabliert werden“ [Litscher 2015, S. 5]. Aus den zwei Kongruenzklassen wurden zwei Genusklassen, das ‚Genus commune‘ und ‚Genus neutrum‘.
Hinter der vorgrundsprachlichen Genusopposition, durch die der Gesamtbestand an Substantiva auf zwei formal geschiedene Gruppen verteilt wird, steht aller Wahrscheinlichkeit nach eine semantische Differenzierung, die wohl mit der Opposition ‚belebt vs. unbelebt‘ charakterisiert werden kann. „Einem Genus inanimatum (genre inanimé) hätte demnach ein Genus animatum (genre animé) gegenübergestanden“ [Tichy 1993, S. 3].
Die Urindogermanen bzw. die Sprecher der vorhistorischen Grundsprache waren Herdenhalter. Für sie war es besonders aus wirtschaftlichen Gründen wichtig, zwischen weiblichen und männlichen Tieren zu unterscheiden; denn in der Regel sind nur weibliche Tiere für die Herdenhaltung geeignet, während die männlichen Tiere, sofern sie nicht ‚neutralisiert‘ werden, von der Herde abgesondert werden. Anders ausgedrückt, die Möglichkeit, den Plural von Substantiven neutri generis als singularische Kollektivbezeichnung zu verwenden, wurde auch für eine spezielle Art von Metonymie genutzt: Die den weiblichen Herdentieren zugesprochene Tauglichkeit für Herdenkollektive bewirkte, dass auch einzelne weibliche Lebewesen mit derselben Suffixableitung bezeichnet werden können. Das neue Genus wird dadurch möglich, dass das Inhaltsmuster der Movierung (oder Motion) geschaffen wird.
Movierung ist ein Inhaltsmuster, und zwar die „Bildung eines als ,weiblich‘ (Sexus) markierten Substantivs zu einem sexusneutralen Substantiv mit maskulinem oder femininem Genus (der Storch > die Storchin, die Giraffe > die Giraffin)“ [Fleischer, Barz 2012, S.236]. Es geht also bei diesem Inhaltsmuster um die explizite ausdrucksseitige Kennzeichnung des Geschlechts eines Lebewesens. Bei ungeschlechtigen Lebenwesen wie bei einigen Würmern ist eine Movierung nicht möglich: *die Wurmin. Deshalb ist die Annahme eines weiteren movierenden „Derivationsprozesses“ nicht nur nicht notwendig, sondern wohl auch falsch: „Bildung der femininen Entsprechung zu einem maskulinen Substantiv (Arzt > Ärztin, Headhunter > Headhunterin)“ [Fleischer, Barz 2012, S.236]; auch hier geht es letztlich um nichts anderes als um die Kennzeichnung weiblichen Geschlechts und nicht um feminine Entsprechungen zu Maskulina.
Dies Alles ist schon seit Längerem bekannt. Bereits Walter Henzen (1895 – 1967) fasste dies in seiner historischen Wortbildungslehre knapp zusammen [Henzen 1965, S.152]: Wie schon angedeutet, bildet das Idg. persönliche Feminina aus Maskulinen mittels reinen ā-Stammes (lat. lupa, domina, puella).
Diese Feststellung kommentiert Luise F. Pusch als „rein androzentrische (d. h. verfälschende) Sehweise“. Sie erklärt das Zustandekommen dieser „verfälschenden Sehweise“ mit der Dominanz der Männer in der älteren Wissenschaft: Natürlich sind alle älteren sprachhistorischen Arbeiten und auch die meisten neueren von Männern verfaßt, und wie wir Frauen inzwischen wissen, sind deren Forschungsergebnisse, Rekonstruktionen und Interpretationen, vor allem soweit sie uns, hier: Bezeichnungen für uns, betreffen, mit Vorsicht zu genießen [Pusch 1984, S. 55]. Es bleibt hier nur zu erwähnen, dass sich seit dem Erscheinen von Pusch (1984) auch Frauen den Ergebnissen der männlichen Sehweise angeschlossen haben; siehe auch oben erwähnte bzw. zitierte Literatur.
Die grammatische Benennung der Genera müsste, diesem Befund entsprechend, etwas anders aussehen: Statt ‚Maskulinum‘ sollte es weiterhin ‚Genus commune‘ heißen, sodass wir die Dreiheit ‚Commune‘, ‚Femininum‘ und ‚Neutrum‘ hätten. Dies bedeutete einen gewaltigen Schritt in der Entwicklung der Struktur der Grundsprache des Indogermanischen.
4.2. Markierte und unmarkierte Einheiten
Sprachstrukturen sind ganz wesentlich geprägt von der Opposition von unmarkierten und markierten Einheiten. Markierte Einheiten besitzen ein ausdrucks- und (bei sprachlichen Zeichen) inhaltsseitiges Merkmal, das die unmarkierte Einheit nicht hat. In diesem Sinn ist das movierte Femininum Ärztin durch das Movierungssuffix -in und das semantische Merkmal ‚(weibliches) Geschlecht‘ markiert. Dieses semantische Merkmal ist bei der unmarkierten maskulinen Form Arzt nicht vorhanden. „Generell sind markierte Formen merkmalsreicher“ [Boettcher 2009, S. 12]. Sie haben daher einen kleineren Bezeichnungsumfang als unmarkierte Ausdrücke. Wenn also ein maskulines Nomen agentis oder auch eine maskuline Personenbezeichnung auf einen Mann referieren soll, dann bedarf es mehr oder weniger deutlicher Kontextsignale. In der Anrede: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger z. B. ist es das Zusammenspiel von zwei Personenbezeichnungen, die dann bei der maskulinen Form die Verwendung als männliche Bezeichnung ermöglicht. Dadurch können sich alle, die an einer Versammlung teilnehmen, angesprochen fühlen.
Dies alles gilt auch, mutatis mutandis, für viele weitere Fälle von Doppelnennungen, etwa: 183 Nationalratsabgeordnete sollen in der kommenden Legislaturperiode die Interessen der Österreicherinnen und Österreicher vertreten. (https://www.derstandard.at/story/2000109168988/wer-waehlte-wie- waehlergruppen-und-ihre-motive) [03.06.2021] Damit wird es signalisiert, dass sämtliche Individuen, die in Österreich leben, sich angesprochen fühlen sollen.
Noch deutlicher wird der Anspruch an Individuen im folgenden Beispiel: Es gibt keinen Unterschied, ob man aus Ostpreußen, der Türkei, Bosnien oder Aachen stammt oder gekommen ist. Wer den deutschen Pass besitzt, gehört zum deutschen Staatsvolk, Punkt. Aber das setzt eben auch ein gewisses Maß an Loyalität voraus. Jeder Migrant und jede Migrantin, der oder die sich durch einen erfolgreichen Integrationsprozess mit der freiheitlich-demokratischen Grundwerten und den demokratischen Institutionen unseres Staates identifiziert und Staatsbürger oder Staatsbürgerin dieses Landes wird, soll und darf über dieses Gemeinwesen mitbestimmen (Die Zeit. Nr. 16, 15.04.2021).
Das Indefinitum jeder/jede verstärkt das Signal, dass hier mit der Doppelformel Migrant und Migrantin jedes einzelne Individuum, das im dazugehörigen Relativsatz – der ebenfalls mit der Doppelung der oder die angeschlossen wird – genauer definiert wird, gemeint ist. Generell kann gesagt werden, dass die ‚Doppelformel‘, bestehend aus moviertem Femininum und männlich interpretiertem Maskulinum weniger ein Kollektiv anspricht resp. benennt als vielmehr die einzelnen Mitglieder eines Kollektivs, die Individuen, die das Kollektiv bilden, in zwei Gruppen zusammenfassend ausdrückt.
Ganz anders hingegen: Eine große Ehre ist es, an Fronleichnam den Baldachin zu tragen, den man Himmel nennt. Das ist allerdings immer noch den Männern vorbehalten. Als vor Jahren in Rottal eine junge Frau aus Versehen zu nahe bei den Himmelträgern stand, wurde sie angeraunzt: „Ja, wo kemma denn da hin, wenn d'Weiber hinterm Himmi noche gengan <…>!“ (Süddeutsche Zeitung. 02./03.06.2021) Dadurch, dass schon vor dem Nomen agentis Himmelträger die Substantivform Männer steht, ist auch das Geschlecht der Himmelträger eindeutig festgelegt. Wiederum aber ist es der Kontext, der dem Nomen agentis das Sexusmerkmal zuweist.
Daneben aber gibt es immer wieder Texte, in denen eine maskuline Personenbezeichnung als generisches Maskulinum verwendet wird: An einem Nachmittag im Turnhouter Stadtbad färbt sich das Wasser plötzlich weiß wie Milch. Die Schwimmer sehen sich an, manche geraten in Panik; ein Kind muss sich übergeben. Eine ältere Dame kann gerade noch an den Beckenrand gezogen werden bevor sie ohnmächtig wird. (Die Zeit. 06.05.21, S. 58)
Dieser Text stamm von der Autorin Maja Beckers, die als Frau des ‚genderungerechten‘ Sprachgebrauchs kaum verdächtig ist. Wenn ein Sexusmerkmal zur ‚lexikalischen‘ Bedeutung des Substantivs Schwimmer gehörte (wie es der Online-Duden notiert: „männliche Person, die schwimmen kann“), dann wäre es nicht möglich, dass zu den Schwimmern auch Frauen wie die erwähnte ältere Dame gezählt werden müssen. Dazu ist es in unserem Weltwissen verankert, dass sich in einem öffentlichen Schwimmbad in der Regel Personen beiderlei Geschlechts tummeln. Auch das sog. generische Maskulinum ist eine Kontextfunktion der lexikalischen Bedeutung bzw. der Wortbildungsbedeutung von Schwimmer: ‚eine Person, die schwimmt‘. Wenn hingegen das movierte Femininum die Schwimmerinnen in diesem Text stünde, dann könnte es später nicht heißen: ein älterer Herr, dann wären nur weibliche Personen gemeint.
Ähnlich ist es zu lesen: Eine bahnbrechende Technologie für Windows wird unter Nutzern in Deutschland immer beliebter – dank der enormen Vorteile, die sie für PCs bringt. <…> Heute besitzt jeder einen Computer. Sie sind für unseren Alltag unverzichtbar und helfen uns bei allem – von der Verwaltung unserer Finanzen bis zum Online-Shopping. Aber wer weiß schon, wie man die Funktionsfähigkeit seines Computers erhält? (https://securitysaversonline.com) [09.05.2021].
Im Pronominalbereich gleichen das Interrogativum, Indefinitum und Relativum wer der maskulinen Pronominalform der. Entsprechend der femininen Form die müsste ein feminines Interrogativum (etc.) wie lauten, was aber nicht möglich ist, denn wie ist als erstarrte Instrumentalform mit ganz anderen Aufgaben belegt. Zudem liegt es in der Logik der Sache, dass Interrogativpronomina nicht sexusmarkiert sein können: Die Frage: Wer hat angerufen? enthält auch die Mitteilung darüber, dass der/die Fragende nicht weiß, ob der/die Anrufer/in männlich oder weiblich war. Daher greift das Pronomen wer auf das alte Genus commune zurück. Ähnlich verhält sich das Indefinitum jemand.
Eine besondere Aufgabe kann die Erwähnung von Männern und Frauen in ein und derselben sozialen Rolle in einem Textstück sein: Margaret Thatcher, britische Premierministerin, hat einen neuen Rekord aufgestellt: Sie hat die längste Amtszeit erreicht, die ein Premierminister nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Bisheriger Rekordhalter war Harold Wilson, der – mit einer vierjährigen Pause – sieben Jahre und 278 Tage an der Macht war (Süddeutsche Zeitung. 09.02.1987).
Das movierte Femininum Premierministerin tut kund, dass hier von einer Frau gesprochen wird. Die maskuline Form Premierminister referiert nur auf die soziale Rolle, gemeint sind also ‚die bisherigen Inhaber der Rolle‘, während sich das Maskulinum Rekordhalter wiederum auf ein männliches Individuum bezieht. Noch einmal: Es sind immer Kontextsignale, die eine eindeutige Referenz der einschlägigen Substantive ermöglichen.
Wenn z. B. in einem Text von einer Frau und einem Mann die Rede ist, dann ist es völlig eindeutig, dass sich die Pluralform Freunde auf Personen beiderlei Geschlechts bezieht: Auf Instagram stellte Dunja Hayali einen seltenen emotionalen Beitrag online. Er richtet sich an ihren Kollegen Mitri Sirin. Seit acht Jahren moderieren die beiden zusammen das ZDF-Morgenmagazin. Längst scheinen aus den beiden Freunde geworden zu sein. Das zeigen jedenfalls die Fotos, die die 46-Jährige in einer Collage zusammenfasst (https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_89646690/dunja-hayali-mit- seltenem-emotionalen-posting-auf-dich-mein-begleiter-.html) [13.03.2021].
Dadurch wird auch möglich, dass die Textbotschaft so ökonomisch wie möglich und dennoch verständlich vermittelt wird. In diesem Sinn können auch Doppelformeln wie Wählerinnen und Wähler bzw. vereinfachte Schreibungen wie Wähler/innen oder Wähler/-innen ohne „sprachökonomische Verluste“ verwendet werden [Harnisch 2020, S. 9], denn sie liefern ja die zusätzliche Information, dass gewissermaßen jedes Individuum einer Gruppe angesprochen wird.
- Gendergerechte Sprache?
Gleichwohl, seit Beginn der Debatte um geschlechter- und (später) gendergerechte Sprache wird über das generische Maskulinum diskutiert. Zunächst ging es nur um das Verhältnis von ‚Genus‘ (grammatischen Geschlecht) und ‚Sexus‘ (biologischem Geschlecht); eine strikte und konsequente Trennung dieser beiden Bereiche wurde und wird geleugnet. Inzwischen ist auch der Begriff ‚Gender‘ (soziales Geschlecht) dazugekommen. Helga Kotthoff und Damaris Nübling demonstrieren in ihrer Einführung in die Genderlinguistik (2018) die Problematik des generischen Maskulinums mit einem „sog. Sprachrätsel, das dem genuslosen Englischen entstammt und einfach (bzw. brachial) in die Drei-Genus-Sprache [recte: Drei-Genera-Sprache? – NRW] Deutsch übertragen wird <…>: “Vater und Sohn fahren im Auto. Sie haben einen schweren Unfall, bei dem der Vater sofort stirbt. Der Junge wird mit schweren Kopfverletzungen in ein Krankenhaus gebracht, in dem ein Chef-Chirurg arbeitet, der eine bekannte Kapazität für Kopfverletzungen ist. Die Operation wird vorbereitet, alles ist fertig, als der Chef-Chirurg erscheint, blass wird und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“ Frage: In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen der Chirurg und das Kind? [Kotthoff, Nübling 2018, S. 95].
Die Autoren [Kotthoff, Nübling 2018, S. 96] sagen selbst, dass eine simple Übertragung eines englischen Sprachspiels nicht auch im Deutschen funktionieren kann. In unserem Fall ist die Sache aber noch viel einfacher: der Begriff ‚generisches Maskulinum‘ bezieht sich, wie schon gesagt, auf eine Gattung und nicht auf ein Individuum. Wenn von einem Individuum die Rede ist, muss ein geschlechtsspezifischer Ausdruck gewählt werden.
In seiner Zusammenfassung sagt auch Henning Lobin: Formen im generischen Maskulinum wie „Wähler“, mit denen gleichermaßen auf Männer ie Frauen referiert wird, bewirken eine Verstärkung einer Vorstellung von Männlichem, die sich experimentell nachweisen lässt [Lobin 2021, S. 46f]. Deshalb plädiert er für die Verwendung eines „generischen Femininums“ [Lobin 2021, S. 52f], zum Beispiel in Gesetzestexten. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Da es hier nicht um Formen und Möglichkeiten gendergerechter Sprache geht, sondern um die lexikalische Bedeutung maskuliner Personenbezeichnungen und deren Position im System des personenbezeichnenden Wortschatzes, soll unser Augenmerk jetzt weiteren Personenbezeichnungen gelten. Zuvor aber sei noch einmal betont, dass die Bedeutung maskuliner Personenbezeichnungen durch männliche Paraphrasen in keiner Weise sachgerecht ist. Sowohl die Beschreibung von maskulinen Personenbezeichnungen in authentischen Kontexten als auch die semantische Analyse machen deutlich, dass das Duden-Online-Wörterbuch den untauglichen Versuch unternimmt, den Wortgebrauch in einem gewissen Sinn zu steuern, ihn aber nicht zu dokumentieren. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Duden-Redaktion bestrebt ist, die frühere normative Funktion in einem anderen Bereich als dem der Orthographie zurückzuerobern.
Nach der lexikographischen Behandlung der einschlägigen Lemmata bietet der Online-Duden immer einen Kasten mit einem stets identischen Text (Duden 2021):
VERWENDUNG DER PERSONENBEZEICHNUNGIn bestimmten Situationen wird die maskuline Form (z. B. Arzt, Mieter, Bäcker) gebraucht, um damit Personen aller Geschlechter zu bezeichnen. Bei dieser Verwendung ist aber sprachlich nicht immer eindeutig, ob nur männliche Personen gemeint sind oder auch andere. Deswegen wird seit einiger Zeit über sprachliche Alternativen diskutiert.
Die Unsicherheit des Geschlechtsbezugs wird allerdings – dies scheint die Duden-Redaktion zu übersehen – in den allermeisten Fällen durch den Kontext aufgehoben. Das Duden-Oline-Wörterbuch enthält keine Kontextbelege, sondern nur feste Wendungen ohne Kommentar: zum Friseur gehen; für eine Reparatur einen Handwerker kommen lassen; wir haben die Handwerker im Haus. Die meisten dieser Beispiele belegen aber, dass der Geschlechtsbezug der Lemmata nicht das Primäre ist. In Knuth (2021) konzediert eine Duden-Redakteurin: Es gibt die generische Verwendung von ‚Arzt‘, die will ja auch keiner abschaffen. Aber die Leute sagen eben auch: ‚Ich gehe zu meiner Hautärztin‘.
Dieses Beispiel zeigt, dass das Possessivpronomen individualisierend wirkt; dies gilt auch für die maskuline Entsprechung: Ich gehe zu meinem Hautarzt. Auch in diesem Fall wird niemand von einem generischen Maskulinum sprechen. ‚Generisch‘ bedeutet also etwa eine Klasse oder ein Exemplar aus einer Klasse bezeichnend. Wenn jemand zum Friseur geht, dann geht er zu einem Exemplar der Klasse Friseur, und das kann männlich oder weiblich sein. Peter Eisenberg beschreibt diesen Sachverhalt völlig zurecht [Eisenberg 2019, S. 38]: Bei den Personenbezeichnungen im Deutschen ist das Maskulinum unmarkiert. Während die feminine Form Lehrerin ein Sexusmerkmal hat, weist die maskuline Form Lehrer ein solches Merkmal nicht unbedingt auf. Das Wort kann sich auf Männer beziehen, muss es aber nicht, während dem Wort Lehrerin der Bezug auf weibliche Wesen fest eingeschrieben ist.
Wenn dem nicht so wäre, dann wäre die Kritik an Meinungen von zwei Männern über die Sprache aufgrund von deren (vermeintlicher) sexueller Orientierung nicht nur missglückt – das ist sie ohnehin und richtet sich selbst –, sondern vor allem nicht möglich: Die Grünen sind eine extrem janusköpfige Partei: Ihnen zufolge muss die tierische und pflanzliche Natur um jeden Preis in maximaler Weise geschützt werden, die menschliche Natur hingegen erscheint ihnen formbar wie Plastilin. Nicht weniger schizophren argumentieren viele moderne Linguisten: Jede Sprache sollte vor dem Aussterben bewahrt werden, da sie ihr ganz eigenes erhaltungswürdiges Weltbild enthält. Aber die europäischen Sprachen können nach Belieben gemäß den Vorgaben der politischen Korrektheit deformiert werden. Volker Beck und André Meinunger – zwei BrüderInnen im Geiste <…> [Rinas 2011, S. 145].
Wenn Berufsbezeichnungen in einem strittigen Kontext sich explizit auf Männer und nur auf Männer beziehen sollen, dann können (und sollen), der Eindeutigkeit halber, die Berufsbezeichnung mit dem Adjektiv männlich attribuiert werden: In kaum einem anderen Bereich konnte sich das Patriarchat so lange unangefochten halten wie im Theater. Noch heute werden rund drei Viertel aller großen Häuser von männlichen Intendanten geleitet, noch heute stammen ebenfalls drei Viertel aller Inszenierungen von männlichen Regisseuren. Einige dieser Theatermänner nutzen ihre von kaum einer Kontrollinstanz gebremste Macht schamlos aus, nicht zuletzt sexuell, wie man spätestens seit der Metoo-Debatte weiß (Die Zeit. 12.05.2021).
Diese Fügungen sind keine tautologischen Ausdrücke, Präzisierungen, „attr[ibutive] Geschlechtsspezifikation[en]“ [Pusch 1984, S. 59]. Demgegenüber sind derartige weibliche Syntagmen Tautologien, die in den frühen 1980er Jahren in den Anfängen der ‚feministischen Linguistik‘ gezielt zur verstärkten Betonung des weiblichen Geschlechts eingesetzt werden; sie kommen daher zunächst in feministischen Kontexten, etwa in der Zeitschrift ‚Emma‘ (https://www.emma.de), vor (Beispiele aus Pusch 1984, S. 103; Hervorhebungen von mir. – NRW): Dieser Beruf ist ziemlich neu für Mädchen aus meiner Gegend, obwohl es einige weibliche Kolleginnen geben soll. Er konnte <…> mit seinen Kollegen vergnügt zum geistigen Salto mortale ansetzen – über dem Netz, versteht sich – das die weiblichen Assistentinnen stets gespannt halten. [Die Interpunktion in diesem Beispiel findet sich so in Pusch 1984. – NRW]. Tatsächlich hat man in Hessen nicht gerade eifrig nach einer weiblichen Leiterin gesucht. Luise F. Pusch kommentiert diese Beispiele folgendermaßen [Pusch 1984, ebd.]: Offenbar empfinden viele Frauen (ich schließe mich ein) die Redundanz dieser Konstruktion als kaum störend im Vergleich zu dem Verstoß, eine Frau mit einem Maskulinum zu bezeichnen.
Die movierten Feminina in derartigen Beispielen können nicht als generische Feminina angesehen werden, denn die Ableitung mit dem Movierungssuffix -in bezeichnet eindeutig nur weibliche Personen, ist „der Bezug auf weibliche Wesen fest eingeschrieben“ [Eisenberg 2019, S.38]. Rüdiger Harnisch hat zahlreiche ‚tautologische Syntagmen‘ untersucht und meint, dass nicht „durch reguläre, hier Kongruenz herstellende, syntaktische Prozesse semantisch irreguläre Konstruktionen, hier Tautologien, entstehen, sondern vielmehr politisch propagierte und sozial kontrollierte Sprachregelungen dafür verantwortlich sind“ [Harnisch 2021, S. 27]. Die Tautologien kämen von der „gendergerechten Sprachregelung her, kein generisches Genus zuzulassen“ [Harnisch 2021, S. 28]. Vor allem „die schriftsprachlichen Belege“ legen die Vermutung nahe, „dass diese Bildungen sich auf dem Weg der Normalisierung – und vielleicht sogar Normwerdung – befinden“ [Harnisch 2021, S. 29].
Zum generischen Femininum, besonders in Gesetzestexten, nimmt auch Henning Lobin Stellung. Auch in diesem Referenzbereich seien „sprachliche Konventionen […] einem beständigen Wandel unterzogen“ [Lobin 2021, S. 54]; als Beispiel führt er zahlreiche Eindeutschungen im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 an: Hieß es in älteren Gesetzen noch „Exekution“, „Defizit“ oder „Erbeslegitimationsattest“, ist nun von „Zwangsvollstreckung“, „Fehlbetrag“ oder „Erbschein“ die Rede. Rechtstexte sind also nicht nur Gegenstand politischen Gestaltungswillens <…>, sondern gestalten immer auch ihrerseits die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit, nicht zuletzt sprachlich [Lobin 2021, S. 54f].
Doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Die Eindeutschungen werden mithilfe der deutschen Wortbildungsregularitäten gebildet, wodurch regelkonforme neue Wörter entstehen, während eine ‚Generisierung‘ der femininen Movierungen ein deutlicher und starker Normverstoß wäre. Ob ein solcher Verstoß gegen sprachliche Normen durch eine politische Handlung zur Regel werden kann, bleibe dahingestellt.
Durch die Möglichkeit, aus maskulinen Personenbezeichnungen movierte Feminina abzuleiten, ist das – heute noch gültige, wenn nicht unumstrittene – System ‚(generisches) Maskulinum – Femininum (– Neutrum)‘ entstanden. Diese rein sprachwissenschaftliche Feststellung wurde mehrfach experimentell überprüft: In einem psycholinguistischen Experiment wurde schon vor zehn Jahren herausgefunden, dass bei maskulinen Bezeichnungen für stereotyp männliche (Spione), neutrale (Zuschauer) und weibliche Tätigkeiten (Kosmetiker) von den meisten Menschen angenommen wird, dass es sich dabei um reine Männergruppen handelt. Dies betrifft nicht nur Spione, sondern auch geschlechtlich ausgewogene Wörter wie Zuschauer sowie mehrheitlich weibliche Kosmetiker [Lobin, Nübling 2018].
Dieses Experiment bestätigt hingegen die Annahme von einem generischen Maskulinum, das eben nicht männliche und weibliche Wesen gleichermaßen bezeichnen kann, sondern das geschlechtsneutral ist und somit überhaupt kein Geschlecht bezeichnet. Deshalb und nur deshalb können mit einem solchen Maskulinum männliche und weibliche Wesen gemeint sein, es entscheidet unser Weltbild und unser Weltwissen, ob ein Wort auf einen Mann oder eine Frau referiert. Ein schönes und eindrucksvolles Beispiel dafür sah und hörte ich am 31.03.2021 und 21:40 Uhr in der Sendung ‚Das Berchtesgadner Land‘ im Mitteldeutschen Rundfunk. Gezeigt und interviewt wurde ein Paar, das von der Stadt auf eine Alm gezogen war, um dort eine Imkerei zu betreiben. In dieser Situation sagte die Frau (neben ihrem Mann): „Ich bin der Romantiker von uns zwei“ (https://www.mdr.de/tv/programm/sendung920730.html).
Diese Äußerung kam ganz spontan und wirkt daher (auf mich) viel überzeugender als jedes psycholinguistische Experiment, das letztlich Daten nur aus künstlichen Situationen liefert: Bei den psycholinguistischen Experimenten <…> wird zudem nur eine Form der Kontextualisierung und ein bestimmter referentieller Modus für die Personengruppen getestet. Ob bei anders gearteter Kontextualisierung und bei verändertem referentiellen Modus in ähnlicher Weise das männliche Geschlecht bevorzugt wird, ist keineswegs sicher [Zifonun 2018, S. 45].
Im weiteren Fortschritt der Kritik am generischen Maskulinum und der Diskussion um weitere Geschlechter ist der Begriff des ‚Gendergaps‘ entstanden: Gender-Gap <…> oder Gendergap bezeichnet den Einsatz eines Unterstrichs im Wortinneren als Mittel der gendergerechten Schreibung im Deutschen, um in Personenbezeichnungen zwischen männlichen und weiblichen auch nichtbinäre, diversgeschlechtliche Personen typografisch sichtbar zu machen und zu referenzieren (URL 4).
Dieses orthographische Konzept sowie das Konzept von einem Raum zwischen den beiden Geschlechtern weiblich und männlich sollen hier nicht diskutiert werden. Ein Beispiel aber soll zeigen, dass sachfehlerhafte Äußerungen entstehen, wenn gewaltsam das generische Maskulinum vermieden werden soll: <…> zudem fordern wir, dass sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch zu einem unabdingbaren Thema in der Aus- und Fortbildung nicht zuletzt von Priesterkandidat: innen werden (Main-Post. 29.04.2021).
Hier wäre die intendierte Gendergerechtigkeit (einschließlich markiertem Gendergap, obwohl das generische Maskulinum nicht benötigt wird), gar nicht notwendig, weil es in der katholischen Kirche vermutlich auf lange Sicht nur männliche Priesterkandidaten – dies ist, wie gesagt, keine Tautologie – geben wird.
Anstelle von Nomina agentis wird häufig empfohlen, Partizipformen zu verwenden. So finden wir heute Dozierende für Dozenten, Arbeitende für Arbeiter oder Radfahrende für Radfahrer. Der Plural dieser Formen wird deshalb bevorzugt, weil sich im Plural von Partizipien wie in dem von Adjektiven die Genusoppositionen neutralisieren. Im Singular aber ist eine eindeutige Genuszuweisung möglich: der Dozierende vs. die Dozierende. Was nicht berücksichtigt wird, ist die unterschiedliche Semantik der beiden Formen, des Nomen agentis und des Partizips I. Helmut Glück macht dies an einem überzeugenden Beispiel deutlich [Glück 2020, S.46]: Ein Fahrer oder Führer eines Fahrzeugs ist eine Person, die zu dieser Tätigkeit berechtigt ist, weil sie einen Führerschein (eine Fahrerlaubnis) besitzt. Fahrzeugführende sind hingegen Personen, die gerade dabei sind, ein Fahrzeug zu fahren und es (hoffentlich) so zu führen, dass sie nicht gegen die StVO verstoßen.
Dabei begegnet eine Reihe von Merkwürdigkeiten: So wird das Substantiv Einwohner durch die Partizipform Einwohnende ersetzt. Einwohner ist schon im Mittelhochdeutschen als inwoner belegt (Lexer, Matthias 1872, S. 1149). Das möglicherweise zugrundeliegende Verb inwonen ist bei M. Lexer nicht gebucht. Die Neubearbeitung des ‚Deutschen Wörterbuchs‘ von Jacob und Wilhelm Grimm notiert s. v. Einwohner: „lexikalisierte abl. von einwohnen“
(URL 1); unter dem Lemma einwohnen steht nur: „einwohnen vb. (mit abl. einwohner m., einwohnung f.)“.
Die Sache ist in der Gegenwartssprache nicht einfacher geworden. Der Online-Duden (2021) bucht das Substantiv Einwohner und erklärt dessen Bedeutung: „männliche Person, die in einer Gemeinde, einem Land ihren ständigen Wohnsitz hat“. Daneben findet sich ‚natürlich‘ auch die Einwohnerin, doch nicht die ganz junge Partizipialbildung der/die Einwohnende. Duden-Online bucht das verbale Lemma einwohnen und dazu mehrere Lesarten: „1. a) (als Mitbewohner) wohnen, b) sich an eine Wohnung anpassen, sich in einer neuen Wohnung eingewöhnen, c) durch längeres Bewohnen behaglich machen; 2. innewohnen“. Daraus folgt, dass das Substantiv Einwohner im Gegenwartsdeutschen nicht von einwohnen abgeleitet sein kann und dass die Form Einwohnender kein Partizip I zu einem Verb sein kann.
Gleichwohl, Verwaltungsjuristen haben dieses Partizip ‚erfunden‘ und schreiben es den Behörden zur Verwendung vor: Und Sie, liebe Hörer, pardon: liebe Hörenden: Sagen Sie nicht mehr „Ausländer“! Sondern „Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft“! Dann machen Sie einige Mitarbeiter, äh, Mitarbeitende der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung glücklich, allerdings Matthias Heine traurig (URL 5).
Der setzte sich nämlich in der WELT mit dem neuen „Leitfaden für diversitysensible Kommunikation“ kritisch auseinander, den die besagte Gleichbehandlungsstelle für die Berliner Ämter und Behörden verfasst hatte. Demnach solle man nicht nur statt „Ausländer“ „Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ sagen, sondern auch statt „Schwarzfahrer“ – „Fahrende ohne gültigen Fahrschein“.
Matthias Heine sah darin den „Versuch, mit dem Programm ‚Sprache‘ der Gehirnwaschmaschine böse, diskriminierende und unreine Gedanken aus den Köpfen der Menschen zu spülen.“ Heines Sarkasmus verriet, dass er nicht glaubt, man könne die Gesellschaft durch verordneten Sprachwandel verändern. Goebbels und Mao und auch Demokraten seien jedoch von der Idee fasziniert gewesen (URL 5).
Weitgehend durchgesetzt hat sich der Plural Studierende als Ersatz für Studenten. Was, z. B. an der Universität Würzburg, früher das Studentenbüro war, ist jetzt das Servicecentrum Studierende, das auch den Bereich Studierendenkanzlei enthält. Aus der Studentenvertretung wurde eine Studierendenvertretung. Der Online-Duden (Duden 2021) führt eine Suffixableitung (Studierendenschaft) und sieben Komposita mit der Pluralform Studierende als Erstglied (Studierendenausweis, Studierendengemeinde, Studierendenparlament, Studierendenvertretung, Studierendenwerk, Studierendenwohnheim, Studierendenzahl) auf. Daneben gibt es auch noch – fast möchte man sagen: natürlich – das Lemma Student und das movierte Femininum Studentin sowie acht Komposita (Studentenaustausch, Studentenausweis, Studentenbewegung, Studentenblume, Studentenbude, Studentenehe, Studentenfutter, Studentengemeinde) (URL 9).
Trotz dieses Befundes dürfte für den aktuellen Sprachgebrauch gelten: „Als geschlechtsneutrale Bezeichnung oder als Ausweichform für die Doppelnennung Studentinnen und Studenten setzt sich der Plural Studierende immer mehr durch.“ (Duden 2021) In einigen Fällen aber kann Studierende kaum als Ersatzform in Frage kommen:
- „Eine Studentenbewegung ist eine politische Bewegung von hauptsächlich studentischen Teilnehmern, die ihren Ausgang von Universitäten nimmt.“ (URL 6) Es handelt sich hier schon um einen festen historisch-politologischen Begriff, der wohl kaum durch Studierendenbewegung ersetzt werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch von Studentenunruhen und Studentenrevolten gesprochen. Aufschlussreich ist zudem, dass in die Wikipedia-Zitat (URL 6) studentische Teilnehmer und nicht Teilnehmende genannt werden, obwohl Duden-Online auch die Lemmata Teilnehmende und Teilnehmende, aber keine Komposita mit der Partizipkonversion bucht.
- Studentenblume ist eine ‚volkstümliche‘ Bezeichnung für die Tagetes. „Die unkomplizierte Tagetes stammt aus der Familie der Korbblütler. <...> Die Gattung der Tagetes wurde nach ‚Tages‘, dem etruskischen Gott der Weisheit, benannt. Bei einem derart klugen Namenspaten wird auch klar, warum die Pflanze im Volksmund auch unter dem Namen ‚Studentenblume‘ bekannt ist“ (URL 7).
- Das Substantiv Studentenfutter: „Mischung aus Nüssen, Mandeln und Rosinen zum Knabbern“ (Duden 2021) ist schon seit der frühen Neuzeit belegt; es bezeichnete ursprünglich eine Mischung aus Mandeln und Rosinen, „amygdala cum uvis passis mixta“ (Stieler 1691, S. 526). Die Bezeichnung kommt möglicherweise von „der ‚schleckerey deutscher gymnasiasten und burschen‘“ (König-Rumohr geist d. kochkunst, 1822; zit. URL 8). Die Bezeichnung Studentenfutter wird wohl bleiben, auch wenn heute „deutsche gymnasiastinnen und mädel“ diese „schleckerey“ lieben.
Über die unterschiedlichen syntaktischen Potenzen von Nomen agentis und Partizip I informiert ausführlich Helmut Glück [Glück 2020]. Deshalb soll hier nur kurz darauf hingewiesen werden, dass die von ein und demselben Verb abgeleiteten Nomina agentis und die zu diesem Verb gebildeten Partizipien nicht als Synonyme angesehen werden können. Die Ausnahme bilden hier nur ganz oder teilweise lexikalisierte Partizipien, zu denen auch Studierender gehört.
Rüdiger Harnisch hat zudem Belege gefunden, die gerade in diesem Zusammenhang sehr aussagekräftig sind [Harnisch 2016]. In einer Prüfungsordnung einer deutschen Universität fand sich zunächst folgender ‚genderungerechte‘ Satz: Auf Anfrage erhält der Student Auskunft über den Stand seiner Leistungspunkte. Diese Äußerung mit dem traditionellen generischen Maskulinum wurde dann in eine ‚geschlechtergerechte‘ Version geändert: Auf Anfrage erhält der Studierende Auskunft über den Stand seiner Leistungspunkte.
Das Substantiv Student wurde in die Partizipkonversion Studierender geändert. Diese Änderung wurde anscheinend von Justiziariat und Prüfungsamt der Universität als ausreichend geschlechtergerecht empfunden; denn in dieser Prüfungsordnung wurde das singularische Wort Student mehrfach durch das singularische Partizip Studierender ersetzt [Harnisch 2016, S. 204]. Das Morph -end, das der Bildung von Partizipien I dient, wird immer wieder „als generelles Symbol der politisch korrekten Ausdrucksweise interpretiert“ [Harnisch 2016, S. 210]. Dies alles kann aber nur funktionieren, wenn man annimmt, dass das generische Maskulinum im Sprachsystem des Deutschen so fest verankert ist, dass es sich – trotz aller Versuche, es zu verhindern – immer aufs Neue „einschleicht“ [Harnisch 2016, S. 203 et passim]. In einem Fall in meiner Belegsammlung wird das substantivierte Partizip I sogar als Erklärung bzw. Eindeutschen zu einem Anglizismus gesetzt: Der aus Hass und Häme geformte Shitstorm ist ein Brauch, der sich bis heute größter Beliebtheit erfreut. Eine Internetverbindung, eine Neigung zu schimpfen und eine Prise Gehässigkeit – das ist alles, was der moderne Hater (Hassende) braucht, um sein Herz zu wärmen (Süddeutsche Zeitung. 15.05.2021).
Die semantisch-grammatische Funktion Numerus ist stärker als die möglichen individuierenden Interpretationen einzelner Sprachbetrachter. Inwieweit Genus und Sexus auseinanderfallen oder, in extremis, als 1:1-Entsprechungen zu interpretieren sind, hängt letztlich von Kontext ab, der in den allermeisten Fällen die Denotate der einschlägigen Wörter disambiguiert. Deshalb hätte der Hinweis der Duden-Redaktion, dass bei Verwendung des generischen Maskulinums „sprachlich nicht immer eindeutig [sei], ob nur männliche Personen gemeint sind oder auch andere“ falsch, denn gerade der Kontext ist in erster Linie sprachlich und nicht situationell.
Da Duden-Online (nahezu) alle maskulinen Personenbezeichnung als männlich definiert, führt das Wörterbuch zu allen maskulinen Ausdrücken auch das dazugehörige movierte Femininum an: Bäcker – Bäckerin, Mieter – Mieterin, Bischof – Bischöfin, Papst – Päpstin. Wenn es schon in der Realität der katholischen Kirche keine Päpstin gibt, so können wird doch die Erzählung von der Päpstin Johanna lesen und dort die weibliche Amtsbezeichnung finden. Doch eine Kardinalin gibt es nicht einmal fiktiv, sodass dieses Lemma auch in Duden (2021) nicht vorhanden ist. Daneben aber finden sich im Online-Duden ungewöhnliche Feminina wie Gästin und Bösewichtin. Zu Bösewichtin lesen wir z. B. bei Stremmel: <In zahlreichen Medien> ist von „abenteuerlichen Kreationen“ die Rede, etwa „Bösewichtin“. Dabei steht auch dieses Wort schon seit 2006 im Duden, weil es nachweislich immer häufiger benutzt wird, besonders in Filmrezensionen [Stremmel 2021].
Allerdings, die 8. Auflage des Duden-Universalwörterbuchs von 2018 enthält das Lemma Bösewichtin nicht. Dazu kommt, dass Duden (2021) als Bedeutungserklärung „böser Mensch, Schuftin, Verbrecherin“ angibt, also zwei weitere nicht extrem geläufige movierte Feminina, und zur Verwendung dieses Wortes schreibt: „veraltend“. Wie passt diese Charakterisierung zur Angabe „weil es nachweislich immer häufiger benutzt wird, besonders in Filmrezensionen“? [Stremmel 2021].
Ähnlich verhält es sich mit Gästin und Menschin. Dazu vermerkt Stremmel: Zwei Evergreens, wenn es darum geht, das Wörterbuch als weltfremd abzukanzeln. Dass diese Begriffe schon seit vielen Jahren dort stehen und bereits in Grimms Wörterbuch von 1864 auftauchen, das wendet zwar hin und wieder ein um Fakten bemühter Diskutant ein. Aber es geht im Geplärr unter [Stremmel 2021].
Gästin und Menschin sind ebenfalls in Duden (2018) nicht vertreten. Das Grimm'sche Wörterbuch kennt das Lemma Gästin und notiert dazu: „weiblicher gast, wenig gebraucht“, belegt es schon im Alt- und Mittelhochdeutschen, aber nicht mehr im 19. Jahrhundert (URL 10, 11). Auch Menschin ist als Lemma im Grimm'schen Wörterbuch zu finden, doch die Quellenverweise nennen nur südbairische Mundartwörterbücher des Tirolerischen und des Kärntnerischen; es dürfte sich also um ein Substandardwort handeln. Stremmels Hinweise auf das DWb bringen überhaupt keine Information zur gegenwartsdeutschen Standardsprache. Überdies stehen die Aussagen Stremmels teilweise im Gegensatz zu dem, was in Duden (2021) zu lesen ist. In zahlreichen deutschsprachigen Zeitungen erschienen Artikel, die die Vermännlichung der Nomina agentins in Duden (2021) guthießen. Die Artikel enthielten über weite Strecken gleiche oder ähnlich Passagen, sodass der Verdacht entsteht, dass diese Artikel auf einer Presseaussendung des Duden-Verlags beruhen. Wenn dem so ist, dann überrascht die Qualität der ‚Argumentation‘ schon gewaltig.
Generell kann gelten, dass von (nahezu) jeder Personenbezeichnung ein moviertes Femininum abgeleitet werden kann; über Restriktion s. Fleischer und Barz [Fleischer/Barz 2012, S. 236f]. Dann aber ist die Movierung in erster Linie ein Objekt der Wortbildungslehre und gehört nicht völlig undifferenziert in ein Wörterbuch.
Es hat auch eine große Zahl von kritischen und skeptischen Artikeln gegeben. Dazu kamen mehrere Aufrufe, die von zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen und kulturellen Lebens unterzeichnet wurden. Ein sehr problematischer Aufruf kam vom ‚Verein Deutsche Sprache‘ (VDS, https://vds-ev.de), einem deutlich nach rechts tendierenden „Kampfverein“ [Lobin 2021, S. 67]. Stremmel schreibt über die Unterzeichner dieses Aufrufs: „Es sind überwiegend Männer, und zumindest von den Prominenten ist kaum jemand unter 60“ [Stremmel 2021]. Es sind also ‚weiße alte Männer‘, die gegen die sich gegen die ‚Sexualisierung‘ eines Wörterbuchs wenden.
- Nachspiel
Der Duden-Redaktion kann man vorwerfen, dass sie auf diese Weise irgendeine normative Funktion, die das Rechtschreibwörterbuch von 1955 bis 1996 hatte, zurückholen will. In der Öffentlichkeit wird das Bild vom Duden als normierender Institution als falsch zurückgewiesen: „Es ist nämlich so, dass der Duden gar nicht die Regeln macht. Die macht der Rat für deutsche Rechtschreibung“ [Knuth 2021]. Im Zusammenhang mit dem Genus von Substantiven ist dies Rechtfertigung schlicht und einfach Unsinn, denn der Rat für deutsche Rechtschreibung ist nur für die Orthographie zuständig und für nichts Anderes.
Wenn also das jüngste Produkt der Duden-Redaktion aus genusneutralen maskulinen Personenbezeichnungen Ausdrücke für männliche Personen macht, dann ist dies kein den Sprachgebrauch dokumentierendes lexikographisches Handeln mehr, sondern eine genderpolitische Aktion. Hans Ulrich Schmids Befürchtungen, die er in seinem Gedicht ausdrückt, sind – noch – nicht wahr geworden. Doch werden sie durch die willkürliche Aktion, mehrere 1000 maskuline Personenbezeichnungen als männlich zu erklären, sehr wohl vorbereitet. Dem dient auch der rekurrente Hinweis, dass „seit einiger Zeit über sprachliche Alternativen diskutiert“ (Duden 2021) wird. Die Feststellung, dass die maskulinen Personenbezeichnungen auf männliches Geschlecht referieren, schone ohne genauere Textanalysen und ohne jede historische Begründung, getroffen worden zu sein.
Es ist nicht gelungen, die maskulinen Personenbezeichnungen zu Männern zu erklären. Auch die Art der Bedeutungsparaphrase ist alles andere als einheitlich. Nehmen wir als Beispiel folgende fünf Suffixableitungen mit -ist (die Bedeutungserklärungen sind Zitate aus Duden 2021): Idealist: „männliche Person, die selbstlos, dabei aber auch die Wirklichkeit teilweise außer Acht lassend, nach der Verwirklichung bestimmter Ideale strebt“; Optimist: „von Optimismus erfüllter männlicher Mensch“; Naturalist: „Vertreter des Naturalismus“.
Die Duden-Redaktion erwartet vom Leser/von der Leserin, dass sie etwas tun, was denen, die das Lemma Mieterin aufsuchen wollen, nicht zugemutet werden kann: „Die Website [der früheren Auflagen des Online-Duden] stützt sich auf den gedruckten Duden. Darin wird bei einer weiblichen Person wie ‚Mieterin‘ auf die männliche Person verwiesen, also ‚siehe: Mieter‘. Das hat in erster Linie Platzgründe, denn auch ein Duden darf nicht zu dick werden. Es ist auch logisch, weil die Begriffe im Buch häufig direkt untereinander stehen. Für den Online-Duden aber, da waren sich Pescheck, Neuhaus und Kunkel-Razum einig, gilt das nicht. Der hat Platz. Die Redaktion bekam viele Zuschriften: Warum muss ich auf ‚Mieter‘ klicken, um eine Definition für ‚Mieterin‘ zu erhalten? ‚Das ist unpraktisch‘, sagt Kunkel-Razum, ‚und es entsteht der Eindruck, Mieterinnen seien nicht gleichwertig‘“ [Knuth 2021]. Das Interpretament von Naturalist enthält das Substantiv Vertreter ohne jedes geschlechtsspezifizierende Attribut. Um sicher zu gehen, dass Vertreter hier nicht als geschlechtsneutral zu verstehen ist, müssen wir das Lemma Vertreter aufsuchen und können dort lesen: „männliche Person, die <…>“ (Duden 2021).
Zufällig fand ich auch noch zwei Stichwörter, die durch rein geschlechtsneutrale Interpretamente erklärt werden: Pessimist: „von Pessimismus erfüllter Mensch“; Realist: „jemand, der die Gegebenheiten des täglichen Lebens nüchtern und sachlich betrachtet und sich in seinem Handeln danach richtet; Wirklichkeitsmensch“. Die maskuline Fügung jemand, der kann nicht einmal der Online-Duden zu einem Signal für männliches Geschlecht machen.
Zu all den aufgeführten Lemmate bietet der Online-Duden die movierten Feminina. Zu Pessimistin etwa heißt es dann: „weibliche Form zu Pessimist“. Um Genaueres zu erfahren, muss der Leser/die Leserin nun doch von der Pessimistin zum Pessimisten gehen.
Es bleibt noch ein Fall, den die Duden-Redaktion nicht beachtet oder übersehen hat: Lena Gercke: Halbschwester Yana ist ein echter Hingucker. (www.bunte.de/stars/star-life/stars-privat/lena-gercke-halbschwester-yana-ist-ein-echter-hingucker.html) [17.02.2021].
Eine Frau, Halbschwester Yana, ist ein Maskulinum, ein Hingucker. Von solchen Objekt- oder Passivbildungen (‚jemand, auf den man hinguckt‘ oder ‚jemand, auf den hingeguckt wird‘) ist (noch?) kein moviertes Femininum möglich. Die Form Hinguckerin ist – so das Ergebnis einer kurzen Google-Recherche – in erster Linie als Nomen agentis (‚eine weibliche Person, die hinguckt‘) belegt.
Schon bei dem Befund, der sich mit dem Namen DUDEN aus einer Wörterbuchanalyse ergeben hat, fällt mir die letzte Strophe von Hans Ulrich Schmids Gedicht wieder ein:
Der Konrad Duden, wüsst’ er drum,
Er drehte sich im Grab herum.
Er war, wie jede*_:/(r) wissen kann,
Ein böser, alter, weißer Mann.